Beatles: Reimagined – CUBE Projekt mit Steve Sidwell aus Kollektion 2020

Beatles: Reimagined – CUBE Projekt mit Steve Sidwell aus Kollektion 2020

Beatles: Reimagined

Konzipieren, Arrangieren, Produzieren und Performen für ein Großensemble mit Big Band, Streichorchester, Vokalist_innen und Solist_innen unter der Leitung eines international renommierten Künstlers: Diese Gelegenheit nutzten im Studienjahr 2018/2019 Studierende des Instituts für Popularmusik der mdw.

Am Anfang stand, wie so oft, der Zufall. Bei einem Jeff-Buckley-Tribute im Jahr 2012 stand ein gewisser Steve Sidwell am Pult des niederländischen Metropole Orkest und dirigierte Arrangements aus der Feder von Gerd Hermann Ortler, Lehrender am Institut für Popularmusik der mdw. Man lernte einander kennen und schätzen, und schnell war klar: Als international renommierter und höchst erfolgreicher Komponist, Arrangeur, Produzent und Dirigent war Steve Sidwell wie geschaffen für eine Zusammenarbeit mit dem Institut.
Die Liste seiner musikalischen Leistungen und Kollaborationen ist scheinbar endlos – neben dem Gewinn eines Grammys in der Kategorie „Best Musical Theatre Album“ für das Carole-King-Musical Beautiful arrangierte er für Stars wie Shirley Bassey und Robbie Williams, war musikalischer Leiter der Abschlusszeremonie der Olympischen Sommerspiele in London 2012 und koproduzierte die Musik des Queen-Kinofilms Bohemian Rhapsody.

„In der Musikindustrie lernst du viele Leute kennen – und du nützt jede Gelegenheit, öfter mit Menschen zusammenzuarbeiten, die dich inspirieren und mit denen du harmonierst“, beschreibt Steve Sidwell seine Beweggründe für die Zusage zum Projekt Beatles: Reimagined. „Es ist spannend, die Studierenden kennenzulernen und mit ihnen zu arbeiten. Aber genauso wichtig war mir der Kontakt zu Gerd. Ich lerne von ihm genauso, wie ich von den Studierenden lerne – und sie hoffentlich auch von mir.“

Zusätzlich zur musikalischen und künstlerischen Expertise stellte die Zusammenarbeit mit Steve Sidwell für die Studierenden eine Chance dar, den konkreten Arbeitsprozess im Business der Unterhaltungsmusik kennenzulernen. Das Projekt bot die Möglichkeit, alle Erfordernisse von der ersten Arrangement-Idee bis zum Applaus nach dem letzten Ton der Aufführung hautnah zu erfahren. In enger Zusammenarbeit arrangierten die Studierenden in Kleingruppen bekannte Songs und versteckte Perlen aus dem Beatles-Repertoire für Big Band und Streicher, und zwar jeweils maßgeschneidert für einen „performing artist“ – ganz so, wie das bei einer Auftragsarbeit der Fall wäre. Dabei hatten sie die Möglichkeit, Instrumental- und Effektspuren sowie Clicktracks für die Aufführung vorzuproduzieren.
„Du schreibst und arrangierst, und dein Stück funktioniert wirklich gut und die Tonart passt – und dann triffst du die Künstlerin bzw. den Künstler und musst einsehen: Sie oder er wird das so nicht singen können. Du musst die Tonart wechseln. Und plötzlich passen deine Stimmführungen nicht mehr, und die Dynamik verändert sich …“, so beschreibt Steve Sidwell im Gespräch das tägliche Geschäft als Arrangeur für Sänger_innen, wie zum Beispiel als musikalischer Direktor der ersten beiden Staffeln von The Voice UK der BBC. „Ich versuche, eine realistische Situation für die Studierenden zu simulieren.“

Den eigenen kreativen Prozess im Arbeitsalltag gezielt und ökonomisch vorteilhaft nützen zu können – das bezeichnet Steve Sidwell als eine seiner wichtigsten Botschaften: „Es ist ein hartes Geschäft. Wir lernen in unserer Ausbildung, gut zu spielen oder gut zu komponieren und zu arrangieren; aber es ist wieder etwas anderes, diese Skills in der echten Welt umzusetzen. Wenn du mit wenig Geld auskommst oder reiche Eltern oder Sponsoren hast, ist das noch halb so wild: Dann kannst du dich kreativ verwirklichen. Aber wenn du Karriere machen möchtest, wenn du eine Familie ernähren möchtest, dann musst du die Fähigkeit entwickeln, zur Zufriedenheit anderer Leute zu arbeiten. Das ist eine Kunst für sich.“
Einen spannenden Aspekt des Projektes stellte die Arbeit in Kleingruppen dar. Komponieren, Arrangieren und Produzieren sind Tätigkeiten, die gerade Studierende häufig allein in Angriff nehmen – im späteren Arbeitsleben ist das Einzelkämpfer_innentum jedoch eher selten anzutreffen. So konnten die Teilnehmer_innen als wertvolle Erfahrung erleben wie es sich anfühlt, der eigenen Kreativität ein Quäntchen Kompromissbereitschaft beizumengen – immer mit dem gemeinsamen Ziel vor Augen.

Den Abschluss der hochkarätigen Kooperation bildete das Konzert unter dem Titel CUBE: Beatles neu interpretiert am 21. Mai 2019, 19.30 Uhr im MuTh, dem Konzertsaal der Wiener Sängerknaben in Wien.

Der Videomitschnitt des gesamten Konzertes ist online nachzusehen/hören unter: https://mediathek.mdw.ac.at/cube-beatles-reimagined

(Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Autor Christian Kalchhauser, erstmalig erschienen im mdw-Magazin in Ausgabe 2/2019)

Die Abkürzung CUBE steht für “Contemporary Urban Beats Ensemble” – eine Plattform, die Studierenden die Möglichkeit bietet, institutsübergreifend miteinander zu musizieren, aber auch zu komponieren, zu arrangieren und zu produzieren.

Künstlerischer Leiter, Dirigent: Steve Sidwell
http://stevesidwell.co.uk
Unterstützt von und in Kooperation (Projektleitung, Arrangements, Organisation) mit den Lehrveranstaltungsleitern Gerd Hermann Ortler und Herbert Pichler (ipop).

Die Studierende haben vier Gruppen gebildet: „Paul“, „George“, „John“ und „Ringo“. Jede Gruppe bestand aus Arrangeuren, Producern und Performing Artists, die ausgesuchte Beatles-Songs für das Konzert vorbereitet, einstudiert und performt haben.

Programm & Besetzung

„PAUL“
Norwegian Wood – Gesang: Ursi Wögerer, Julian Kranner; Arrangement: Philipp Gruber, Felix Reischl, Hans Peter Kirbisser
Strawberry Fields Forever – Gesang: Ursi Wögerer, Julian Kranner; Arrangement: Benjamin Nyamandi
Glass Onion – Gesang: Julian Kranner; Arrangement: Sebastian Schneider
Maybe I’m Amazed – Gesang: Ursi Wögerer; Arrangement: Alex Brosch
Day Tripper – Gesang: Ursi Wögerer, Julian Kranner; Arrangement: Sebastian Schneider
Paperback Writer – Arrangement: Philipp Gruber

„GEORGE“
While My Guitar Gently Weeps – Gesang: Christina Fuxjäger; Arrangement: Gavin Wiyanto
Ticket To Ride – Gesang: Christina Fuxjäger; Arrangement: Christian Schuller
Blackbird – Gesang: Christina Fuxjäger, Martin Zerza; Arrangement: Peter Janisch
Come Together – Gesang: Christian Fuxjäger; Arrangement: Florin Gorgos
And I Love Her – Gesang: Martin Zerza; Arrangement: Markus Schwarz, Thorsten Seidl
We Can Work It Out – Gesang: Christina Fuxjäger; Arrangement: Christina Fuxjäger

„JOHN“
Here Comes The Sun – Arrangement: Tobias Flock
Lady Madonna – Gesang: Julian Kranner; Arrangement: Laura Valbuena, Felix Biller
Long, Long, Long – Gesang: Larissa Schwärzler; Arrangement: Larissa Schwärzler
Something – Gesang: Larissa Schwärzler; Arrangement: Andreas Hoppe
Get Back – Gesang: Simon Xaver; Arrangement: Leonhard Schödl

„RINGO“
I Want You (She’s So Heavy) – Gesang: Veronika Sterrer; Arrangement: Gidi Kalchhauser
Martha, My Dear – Arrangement: Martin Listabarth
Obladi, Oblada ¬– Gesang: Julian Kranner; Arrangement: Anna Maurer
Golden Slumbers – Veronika Sterrer; Arrangement: Veronika Sterrer
Eleanor Rigby – Gesang: Caroline Loibersbeck; Arrangement: Caroline Loibersbeck
Don’t Let Me Down – Gesang: Angelika Zach; Arrangement: Marko Arich
Back In The USSR – Gábor Auguszt; Arrangement: Gergely Ösze

Fotos: mdw
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Ö1 Jazztag & EURORADIO Jazz Orchester 2019 in Wien aus Kollektion 2020

Ö1 Jazztag & EURORADIO Jazz Orchester 2019 in Wien aus Kollektion 2020

Von Andreas Felber

Europas Jazzprotagonist/innen von morgen zu Gast in Wien.
Seit 1965 entsenden die in der European Broadcasting Union (EBU) zusammengeschlossenen Rundfunkanstalten alljährlich einen hochtalentierten Musiker bzw. eine Musikerin in das Euroradio Jazz Orchestra. Damit diese im ebenso jährlich wechselnden Gastgeberland mit einem arrivierten Profi ein eigens erstelltes Programm erarbeiten und aufführen. 2019 waren die 16 Musiker und Musikerinnen aus ebenso vielen Ländern auf Initiative der Ö1 Jazzredaktion zum ersten Mal seit 1990 wieder in Österreich zu Gast. Mit Christoph Cech konnte einer der profiliertesten Jazzorchester-Experten des Landes als Komponist und Leiter gewonnen werden. Am 17. Oktober gastierte das Euroradio Jazz Orchestra im ORF RadioKulturhaus in Wien, wo Cechs anspruchsvolle, wuchtige Kompositionen den jungen Virtuosen und Virtuosinnen Gelegenheit geben, ihre solistische Brillanz zu zeigen. Andreas Felber präsentierte die Höhepunkte des Abends, der einen Blick auf mögliche Zentralfiguren des europäischen Jazz von morgen eröffnete.

Gesendet in „On stage“ am 28.10.2019

Links:
https://www.ebu.ch/projects/radio/euroradio-jazz-orchestra

Kurzvideo vom Konzert am 17. Oktober 2019 im ORF Radiokulturhaus:
https://cloud.orf.at/index.php/s/7YgT778mo6QdBw2

Programmfolder mit allen Biografien der Musiker_innen – Konzerte von 16.-19. Oktober 2019 in Österreich:
https://www.ebu.ch/files/live/sites/ebu/files/Events/Radio/EJO/OE1_Euroradio%20Jazz%20programm%2019.pdf

Rück- und Ausblicke auf Geschichte bzw. Zukunft des Jazz: Ö1 feierte am 30. April zum vierten Mal den Ö1-Jazztag

„Play it Cool“ war diesmal das Präludium überschrieben. Unter diesem Titel lud „Betrifft: Geschichte“ von 20. bis 24. April zu einem historischen Streifzug durch die Welt des Jazz. Und stimmte damit ein auf den heuer trotz der Corona-Pandemie erneut stattfindenden Ö1-Jazztag am 30. April 2020. Einen Tag lang stand die improvisierte Musik in ihrer prallen, bunten Vielfalt wieder im Mittelpunkt: Von der „Klassiknacht“ und „Guten Morgen Österreich“ bis hin zu einer Spezialausgabe der „Ö1 Jazznacht“ fokussierten alle Musik- und zahlreiche Wortsendungen unterschiedliche Aspekte des Jazz, jener Musik, die in rund 100 Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung durchlaufen hat: von einer afroamerikanischen Volks- und Tanzmusik in den Straßen der US-Südstaaten hin zu einer Kunstform, die in zahllosen Dialekten und Individualstilen auf der ganzen Welt gesprochen und verstanden und in den besten Konzertsälen zelebriert wird.
Warum der 30. April? Das ist jener Tag, den die UNESCO auf Vorschlag ihres Goodwill-Botschafters, des Pianisten Herbie Hancock, vor rund neun Jahren zum „International Jazz Day“ erklärte, „um den Jazz und seine diplomatische Rolle bei der Verbindung von Menschen in allen Ecken des Globus“ zu würdigen, wie es auf der Homepage heißt. Seit 2012 wird der „International Jazz Day“ auf allen fünf Kontinenten mit zahllosen, autonom organisierten lokalen und regionalen Veranstaltungen gefeiert. Das Hauptevent geht in Zusammenarbeit mit dem Herbie Hancock Institute of Jazz in Washington D.C. (bis 2019 nach Thelonious Monk benannt) jedes Jahr in einer anderen Metropole über die Bühne: Nach Havanna (2017), St. Petersburg (2018) und Sydney (2019) wäre 2020 erstmals Afrika an der Reihe gewesen: Capetown sollte am 30. April Mittelpunkt der Feierlichkeiten sein, die Corona-Pandemie hat diesem Vorhaben aber einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Auch auf das Ö1-Programm am 30. April hatte das Virus Auswirkungen: Nicht wie geplant stattfinden konnte abends die Live-Übertragung zweier Konzerte aus dem Wiener Jazzclub Porgy & Bess in der Spezialausgabe von „On stage“. Nachdem hier mit Pianistin Irene Schweizer (Ö1-Jazztag 2018) sowie dem Brüderpaar Rolf und Joachim Kühn (2019) zuletzt – noch immer in juveniler Spiellaune befindliche – Legenden des europäischen Jazz auf der Bühne standen, sollte der Fokus diesmal auf die junge Szene gerichtet sein. Und wurde es auch: Christian Muthspiels mit vielen österreichischen Talenten bestücktes Orjazztra Vienna war zwar nicht auf der Bühne des Porgy & Bess, aber dennoch konzertant präsent: Auf dem Programm stand der Mitschnitt der umjubelten Premiere des Orchesters beim Jazzfestival Saalfelden 2019. Und Tenorsaxofonist Binker Golding, einer der Shootingstars der zurzeit so vielbeachteten jungen Londoner Jazzszene, war ebenfalls nicht live, aber in spannenden Aufnahmen zu erleben: Einerseits im gefeierten Duo Binker & Moses mit Schlagzeuger Moses Boyd, andererseits mit seinem neu formierten Quartett, dessen Österreich-Premiere an diesem 30. April geplant gewesen wäre. Und zum dritten in Duo-Aufnahmen mit Pianistin Sarah Tandy von Gilles Petersons neuem „We Out Here“-Festival, aufgenommen im August 2019 in Abbots Ripton, Cambridgeshire, und zur Verfügung gestellt von der BBC. Der Ö1-Jazztag, er fand trotz mancher Hindernisse statt.

https://jazzday.com
https://oe1.orf.at/jazztag

Andreas Felber
Gebürtiger Salzburger, Jahrgang 1971, lebt seit 1991 in Wien. Arbeitet er als Radiomoderator, Musikjournalist, Musikwissenschaftler und Universitätslektor. Leitet im ORF-Radiosender Ö1 das Ressort Jazz, Popular- und Weltmusik.

Foto: ORF
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Interview mit Natasa Mirkovic aus Kollektion 2020

Interview mit Natasa Mirkovic aus Kollektion 2020

Universelle Stimmführung & unsterbliche Musik, Qualität durch Tiefe & Zeit sowie das Nomadentum sich selbst überlassener Künstler

Nataša Mirković im Gespräch mit Günther Wildner

Günther Wildner: Wie hast du von der Gesangsprofessur an der mdw erfahren?
Nataša Mirković: Eine liebe Freundin hat mir davon erzählt und ich habe mich beworben. Für mich hat es sich etwas unerwartet ergeben, weil ich ja von sehr verschiedenen Musikrichtungen komme. Umso mehr hat es mich gefreut und ehrt mich, dass ich ausgewählt wurde, ich finde es sehr spannend an so einem kreativen Institut arbeiten und mitgestalten zu dürfen. Beim Hearing selbst wollte ich die halbe Stunde künstlerischen Auftritts mit einem Kollegen bestreiten. Der war aber dann aus familiären Gründen kurzfristig verhindert, so habe ich eine Soloperformance gemacht.

GW: Das klingt sportlich …
NM: Das ist wahrlich sportlich und ein super Training. Solo Performance ist eine besondere Sportart, nicht jeder muss es mögen, aber gerade jene Dinge reizen mich, die mich herausfordern. Der Vorteil weiters ist, dass ich komplett flexibel bin, Timing und Musikinhalt bestimmen kann und es jeder Zeit ändern kann, je nachdem, wohin mich die Musik verführt. Solo-Auftritte mache ich seit 2004 und sehr gerne.

GW: In welchem Umfang unterrichtest du jetzt?
NM: Ich bin in meinem ersten Semester gleich komplett voll mit 14 Studierenden und 23 Stunden. Jede/r Sänger/in erhält von mir wöchentlich Unterricht zwischen 1,5 und 2 Einheiten. Da erfreulicherweise eine gewisse Flexibilität möglich ist, habe ich ein Körper-, Rhythmus- und Stimmtraining montags für alle aus meiner Klasse eingerichtet. Hier geht es darum Gewohnheiten zu bilden, in eine Praxis zu kommen, wo der Sänger versteht, was sein Instrument ist und kann, wie seine Vorbereitung ausschauen könnte, und wie er/sie bei allen Themen weiterlernt, technisch, wie musikalisch. Wir machen Bewegungen und Körperdehnungen, um dabei alle Muskelfasern und Faszien des Körpers zu erreichen, alles hängt zusammen. Dehnung in den Beinen hat viel mit Lockerung im Hals-Schulter-Brustbeinbereich zu tun etc. Sänger/innen sollen ihr Instrument, die Stimme, gut und aus allen Blickwinkeln kennenlernen. Sie ist ja auch ständig in Betrieb beim Essen, Reden und auf der Bühne. Stimme kannst du nicht einfach abstellen wie jedes andere Instrument.

GW: Worauf kommt es dir bei der Stimme und der Stimmbildung selbst an?
NM: Seit langer Zeit schon erforsche ich verschiedene Arten der Stimmführung. Ich nenne es Universelle Stimmführung bzw. Universal Voice Leading. Mich interessiert also, wie man Stimme stilistisch unabhängig entwickeln kann und alle Potenziale frei bekommt. Es geht zunächst einmal um die Stimme an sich, um das Gesangspotential. Später dann schaue ich, welche besonderen Bedürfnisse und Anforderungen eine gewisse Stilistik beim Singen noch benötigt. Sänger/innen können sich also in weiterer Folge technisch und musikalisch in bestimmte Richtungen vertiefen. Mit meiner Methode habe ich neben Österreich auch schon sehr ermutigende Erfahrungen an Hochschulen, Konservatorien und in privaten Workshops in Deutschland, der Schweiz, Italien, Bulgarien, Bosnien und Frankreich gesammelt.

GW: Du beginnst also mit einer Art Grundausbildung?
NM: Ja, egal, ob die Sänger/innen in Klassik, Jazz, Rock, Pop oder Folklore geübt sind, beginnen wir mit Übungen und Basics für die Stimme, die in allen Genres gelten, und finden heraus, welche Räume und Entwicklungsstufen es noch braucht, um zu einer überzeugenden Performance zu kommen. Stimme lässt sich gut modellieren, und hier ist die Gefahr einer zu frühen Spezialisierung gegeben. Wenn man gleich mit Klassik beginnt, was noch immer sehr üblich ist, kommt man durch diese starke Festlegung dann oft nicht mehr problemlos zu den anderen Stilrichtungen und stimmlichen Ausdrücken. Natürlich kann es auch starke Prädispositionen bei Sängern geben, die von Anfang an bestimmend sind. Ich bemühe mich jedenfalls bei allen Studierenden herauszufinden, was sie können sollten, siehe IGP oder ME, und was sie selbst kennenlernen, erlernen und erreichen möchten. Manche Stimmen sind schon auf einem guten und gesunden Weg, andere brauchen noch ein bisschen Zeit zum Wachsen bzw. zum Einschlagen eines neuen gesunden Weges. Je genauer man sich mit den Basics beschäftigt, was gerade am Anfang mühsam sein kann zu erlernen, umso leichter hat man es später. In späteren Phasen des Musikerlebens hast du oft einfach zu wenig Zeit für Korrekturen, solltest aber den Anforderungen entsprechen, die verlangt werden, und da ist es gut, die Grundlagen bereits zu haben.

GW: Was macht ihr in “Performance and Staging, dem Übungsnachmittag für Studierende”?
NM: Das soll neben dem gemeinsamen Grundlagen-Montag ein Praxisfeld für die IGP-Studierenden sein, aber auch ME-Studierende sind willkommen. Es geht darum, wöchentlich Bühne, Auftritt und Kontakt mit Musik und einer Band und alles, was dazu gehört, zu optimieren, an der Performance zu arbeiten. Da am Ende des Semesters die Sänger/innen bei den „Vocal Nights“ im Loop Wien einmal einen Song performen können, braucht es mehr Übemöglichkeiten als nur eine Korrepetitions- und eine Bandprobe. So dachte ich, bei zwei von unseren Nachmittagen, den Studenten eine „öffentliche Probe“ anzubieten. Jede/r kann auch mehr als nur einen Song vortragen. Da kann man sich ausprobieren, Bühnenluft schnuppern und die Performance trainieren. Das werden wir in den kommenden Semestern noch weiterentwickeln.

GW: Was ist dir bisher am ipop aufgefallen bzw. ins Auge gestochen?
NM: Es gibt offensichtlich sehr viel Qualität und Potential in den verschiedensten Richtungen unter Lehrenden und Studierenden und ist auch sicherlich noch ausbaufähig. Von da her ist ein Konzertfach ganz bestimmt sehr wichtig und nachgefragt. Auch der Musikmarkt schaut im 21. Jahrhundert anders aus. Wenn wir mit der Zeit und Welt gehen wollen, müsste sich die mdw in Wien etwas beeilen und nicht nur aufholen, sondern könnte als Vorreiter und als Beispiel in Europa dienen im Bereich der Bildung für die jungen Musiker bezogen auf Populare Musik. Es ist eine einmalige Chance ein Institut zu haben, das so vielfältig arbeitet in Jazz, Pop, Rock, World etc. wie das ipop in Wien!

GW: Dein Credo für dich und deine Studierenden?
NM: Einfach laufend die Frage stellen und Antworten suchen: Was kann ich tun, dass die Musik sich mit mir wohlfühlt? Der Musik ist es egal, wer sie singt oder spielt. Um ihr gerecht zu werden, muss ich jedenfalls meine Position zu Puls, Rhythmus, Groove, Melodie und Phrasing finden. Wenn man mehrere Stilistiken kennt, ist das hilfreich. Phrasenführung und Dynamik lernst du in der Klassik am besten, im Jazz stehen Puls, rhythmische und auch harmonische Strukturen und Improvisation im Mittelpunkt, und du lernst, den Geist loszulassen. Die Folklore beschäftigt sich mit all diesen Themen, besonders mit der Rhythmik und der Nutzung des gesamten Körpers beim Singen. Ein zweites Credo ist, dass Sänger/innen ganz viele Stilrichtungen ausprobieren und in alle möglichen Aufführungssituationen schnuppern sollten. Das rate ich meinen Studierenden unbedingt. Ziel ist es letztlich, sich abseits von Musikstilen und über Genreanforderungen hinaus auf eine eigene, individuelle Art künstlerisch ausdrücken zu können. Es geht um zusammen Musizieren aber auch um Einzigartigkeit, das Individuelle.

GW: Was möchtest du jungen Musiker/innen weiters als Empfehlung mitgeben?
NW: Ich wünsche allen ganz viel Spaß und Geduld am Experimentieren mit der Musik und am Besser-Werden! Es ist extrem wichtig, die eigene Qualität zu steigern und optimal zu entwickeln, denn im künstlerischen Feld, aber auch in der Pädagogik, ist die Konkurrenz einfach enorm. Der Weg dahin ist u.a., nicht darauf zu warten, was der Lehrer sagt, sondern viele Fragen zu haben und selber nachzuforschen, was einen weiterbringt.

GW: Spiegelt sich der schon mehrfach erwähnte multi-stilistische Ansatz auch in deiner Sängerbiografie?
NM: Ja, ich habe schon als Kind im Chor gesungen, Punk, Rock, Pop, Musical und gerne Jazz gemacht, in Richtung Improvisation experimentiert, Folklore gesungen usw. Klassik kam bei mir erst ganz zum Schluss. Das gab mir schon immer einen ganz individuellen Blickwinkel, ich bin sehr dankbar dafür.

GW: Kommst du aus einer musikalischen Familie?
NM: In meiner Jugend in Sarajewo waren mehr oder weniger alle Familien musikalisch und haben Musik gemacht, ganz selbstverständlich, zu Hause und im Freundeskreis. Sport und Musikschule waren gesetzt. Es ging nur darum zu entscheiden, welche Sportart und welches Instrument. Meine Ausbildung war ausführlicher als es heute praktiziert wird: Sechs Jahre intensiver Grundmusikschulunterricht am Instrument, in Chor, Musiktheorie und Solfeggio. Dazu kamen verschiedenste Auftritte und Konzerte. Diese Grundausbildung war die Vorbedingung für das Musikgymnasium, an dem ich Gesang und Klavier als Hauptfach hatte. Dort erhält man wiederum das Rüstzeug, um eine Aufnahmsprüfung an einer Musikuniversität schaffen zu können.

GW: Wie ging es dann weiter bei dir?
NM: Ich habe Musikwissenschaft mit Schwerpunkt Musikethnologie studiert. Allerdings nicht fertig, weil der Krieg dazwischenkam und ich dadurch eine Pause einlegen musste. Später habe ich dann in Graz an der Karl-Franzens-Universität weiterstudieren können. Das hat mir eine Zeitlang gefallen, war mir dann aber zu theoretisch. Nur die ethnologischen Transkriptionen waren bei dieser Ausbildung in der Praxis angesiedelt. Also habe ich zum Studium des klassischen Gesangs an die Kunstuniversität Graz gewechselt. Nach zwei Diplomabschnitten machte ich meinen Master in Lied und Oratorium und meinen Studienabschluss. Zu dieser Zeit habe ich an der Grazer Oper gesungen sowie bei anderen Theaterproduktionen, als Studiomusikerin gearbeitet und Coachings gegeben. Als Freelancerin habe ich dann weitergemacht, weil das meinem freien Geist und meinen „Spinnereien“ am besten entsprach.

GW: Was bedeutet dir Wien?
NM: In dieser Stadt habe ich bisher immer nur gewohnt, ab dem Jahr 2003. Die Kinder gehen hier in die Schule, meine Arbeit war aber immer auf der ganzen Welt, meine Musikprojekte immer international. Durch die mdw bin ich natürlich jetzt mehr Wien fixiert.

GW: Was hat sich in deiner Wahrnehmung musikbusinessmäßig verändert?
NM: Es ist mehr Unruhe im Musikbetrieb und Unbeständigkeit. Der Umbau ist voll im Gang, dass Labels weniger Künstler signen und ihre Produktionen geringer finanzieren. Auch die Präsenz der Muttersprache vermisse ich in der Musik sowie Beschäftigung mit der Folklore, da könnte viel mehr erscheinen. Wo ich herkomme, hat man Popularmusik in der eigenen Sprache immer großgeschrieben, alles andere aber auch nicht verneint. Erst in zehn Jahren werden wir sehen, was die Früchte all dieser Entwicklungen sind. Die Künstler sind heutzutage sich selbst überlassen. Für junge Künstler, die keine Affinität zu Marketing und Management haben, ist das eine sehr anspruchsvolle, herausfordernde Rolle. Musiker/innen beschäftigen sich mit Musik und schicken nicht ständig Emails oder hängen am Telefon. Zu viel bürokratische Arbeit kann einen am Musikmachen hindern bzw. auch die Lust aufs Musizieren auslöschen. Ergebnis davon ist, dass wir viel zu wenig unsterbliche Musik schaffen. Dabei wird alles immer schneller, und es entsteht Druck: Ich muss laufende Singles veröffentlichen, jedes Jahr ein neues Album, damit man noch in der Aufmerksamkeit des Veranstalters bleibt. Mir fehlen Qualität, Tiefe und Zeit. Letztere braucht man, damit etwas reifen kann. Ich selber bin besonders langsam, alle vier bis fünf Jahre ein Platte, weil ich viel recherchiere, Forschung zur Musik betreibe. Eine CD mit Booklet ist für mich ein Dokument meiner Arbeit, das ich liebe, wenn ich es richtig gut gemacht habe. Das wird mich hoffentlich überleben!

GW: Welche Businessskills brauchen daher junge Musiker/innen heute?
NM: Sie müssen sich selber an die Hand nehmen und nicht damit rechnen, dass sie eine Führung bekommen. Musiker/innen müssen sich selber führen. Nur so kommen sie voran.

GW: Wie war deine bisherige Zusammenarbeit mit Managements?
NM: Da gab es solche und solche Erfahrungen. Persönliche Kontakte und Netzwerke sind auf jeden Fall sehr wichtig. Wenn darüber hinaus Manager/innen interessiert und leidenschaftlich sind, kann daraus viel wachsen. Wenn nicht, dann wird auch nichts wachsen. Selbst wenn man ein gutes Management hat, muss der Künstler immer sehr wach, neugierig und bei der Managementarbeit aktiv dabei sein, damit man gemeinsam ein Musikprojekt voranbringen kann. Ein Musikerleben ist ein Nomadentum und Zigeunerleben, auf und ab, mit Vor- und Nachteilen, anstrengend und inspirierend zugleich. In diesem Dschungel sollten Musikschaffende wissen, warum und wofür sie das alles machen, den Ursprung nicht verlieren. Aus diesem Grund habe ich zu Beginn des Semesters von meinen Studierenden eine Email erbeten, in der sie erklären, warum sie Musik machen und Musik studieren. Wunderschöne Antworten mit so viel Leidenschaft im Herzen, Lernen-Wollen und Begeisterung für die Musik kamen da. Das soll ihnen unbedingt bleiben in den nächsten 20 Jahren mindestens! Als Lehrender hat man die Chance und den Auftrag, diesen Blickwinkel zu unterstützen. Für das Studium bedeutet das: die eigene Mitte finden und mit der Musik auftanken – unabhängig von Leistungen und Resultaten. Es geht um Qualität.

GW: Welche Musiker/innen begeistern dich, haben Vorbildwirkung?
NM: Das sind Kollegen, die der Musik dienen können und mit und von der Musik lernen wollen, die die Musik über sich selbst stellen. Das kann ich hören, das berührt mich, ist wunderschön. Ich habe große Achtung vor solchen Musiker/innen. Einer von diesen ist Pianist Grigory Sokolov, den ich erst unlängst wieder live gehört habe. Wenn ich seine Ruhe, Achtsamkeit, Weisheit, Bewusstheit und Bestimmtheit erlebe, danke ich dem lieben Gott, dass ich da sein und zuhören darf. Jeder Ton ist eine Aussage, ohne übergeformt zu sein, weit jenseits einer Stilistik. Ich höre dadurch auch nicht ihn, keine Stilistik, nur pure Musik. Bei Sängern gibt es das auch, als Beispiel kann ich Maria Callas nennen. Sie war als Sängerin die zweite Instanz, ihre Musik die erste. Ich habe das Glück, dass ich mit so besonderen Kolleg/innen auf der Bühne sein und mich austauschen kann. Das wird dann auch Musiker/innen des ipop betreffen, die mich inspirieren werden mit Geist, Menschlichkeit und Präsenz.

GW: Hast du prägende Konzerterlebnisse?
NM: Extrem beeindruckt hat mich vor drei Jahren ein Auftritt von Chick Corea und Bobby McFerrin im Wiener Konzerthaus. Es war wie eine Wohnzimmerprobe, und Bobby stimmlich angeschlagen. Er hat also sparsam und leise gesungen. Unglaublich war der Gedankenaustausch zwischen den beiden, sie spielen ja seit 40 Jahren zusammen! Bei jedem neuen Atemzug weiß der andere schon, wo es hingehen wird. Die sind mit drei fixen Stücken auf die Bühne und dann der Entwicklung des Abends gefolgt, ganz viel pure Improvisation. Unvergesslich!

GW: Musik bleibt also ein Geheimnis?
NM: Musik ist so viel größer und mächtiger als wir alle. Wir sollten versuchen, so gut für die Musik zu sein wie sie für uns.

 

Biografie
Nataša Mirković wuchs in Sarajevo auf, wo sie ihr Vater mit der Folklore des Balkans vertraut machte. Im Alter von sechs Jahren begann sie mit Klavier, in der Mittelschule mit einer Gesangsausbildung. Nebenbei arbeitete sie als Hörfunkmoderatorin und war Mitglied des „Collegium Artisticum“. Tätigkeit als Studiomusikerin in Jazz, Pop und Rock. Seit 1991 studierte sie Musikwissenschaft in Sarajevo. Das Studium musste sie aufgrund des Bosnienkriegs unterbrechen. 1993 lebte sie in Deutschland, bevor sie ab 1994 zunächst ihr musikwissenschaftliches Studium in Graz fortsetzte, bevor sie eine Ausbildung zur klassischen Sängerin an der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz absolvierte. 1996 debütierte Mirković als Juliet in Sergei Dreznins Musical „Romeo & Juliet“ in Sarajevo. Ihr solistisches Engagement reicht von der Grazer Oper bis zur Volksoper Wien und Drama Graz wo sie in einigen Schauspiel-, Opern- und Musicalproduktionen auftrat. Sie beschäftigt sich gerne mit der klassischen Liedkunst, Barockmusik sowie der traditionellen Volksmusik, Jazz und Improvisation und ist europaweit auf renommierten Bühnen, wie auch bei internationalen Festivals eine gefragte Künstlerin. Nataša Mirkovićs große Vielseitigkeit, die sie in den verschiedensten Genres bewiesen hat, wurde auch in Hollywood vom Komponisten Gabriel Yared erkannt, der sie dazu einlud, den Titelsong zu Angelina Jolies Filmregie-Debut In the land of blood and honey zu singen und mit dem sie erfolgreich weiter arbeitet an verschiedenen Film Produktionen, so wie zuletzt für The Promise, ein Film vom Geoge Terry.Die Liebe zur Folklore führt die Sängerin immer wieder zu ihren Wurzeln zurück, zu den Musiktraditionen des Balkans, in diesem Sinne ist auch ihr neuestes Programm En El Amor entstanden( mit Michel Godard-serpent und Jarrod Cagwin-percussion) , welches sephardischen Liedern aus Südosteuropa gewidmet ist. Im November 2017 erhielt sie den Preis der deutschen Schallplattenkritik (L4) für En El Amor. Neben ihrer regen Konzerttätigkeit unterrichtet Nataša Mirković seit 18 Jahren weltweit die von ihr selbst entwickelte Methode der Universellen Stimmführung und gibt dieses Wissen an professionelle SängerInnen, GesangspädagogInnen und Laien weiter.
Arbeitet derzeit aktiv musikalisch mit: Michel Godard, Jarrod Cagwin, Luciano Biondini, Gabriel Yared, Christina Pluhar & Larpeggiata, Jon Sass, Harald Haugard, Helene Blum, Matthias Loibner, Nenad Vasilic und vielen anderen…
Mirković unterrichtet europaweit ihre eigene Gesangsmethode der universellen Stimmführung.

Diskographie (Auswahl):
• Gypsy’s Lullaby, mit Ernst M. Binder und Matthias Loibner (Extraplatte 2004)
• Kassandra – Laments of the Balkans, mit Ernst M. Binder und dramagraz (Extraplatte 2004)
• Ajvar & Sterz, Duo-Projekt mit Matthias Loibner (Efimeras 2006)
• Liacht/Svjetlo – Aniada A Noar (Extraplatte 2009)
• Matthias Loibner, Nataša Mirković-De Ro: Winterreise (Raumklang 2010)
• Nataša Mirković/Nenad Vasilić: soul*motion (Bayla Records 2011)
• Gabriel Yared In the Land of Blood and Honey (Original Motion Picture Soundtrack 2011)
• Nataša Mirković, Michel Godard, Jarrod Cagwin: En el amor (Carpe Diem Records 2017; Bestenliste 4/2017 zum Preis der deutschen Schallplattenkritik)
• In Vorbereitung / Risplendenti Riversi- mit Michel Godard, Jarrod cagwin, Luciano Biondini ( Dodicilune 2020)

http://www.natasa-mirkovic.com/

Foto: Laurent Ziegler
Link zur Kollektion 2020