Über Panzerballette & Sideman-Erfahrungen, Studieren, Unterrichten und Musik als Sprache

 

Joe Doblhofer im Gespräch mit Günther Wildner

 


 

Günther Wildner: Seit einem Jahr unterrichtest du nun am Institut für Popularmusik, wie war das für dich?

Josef „Joe“ Doblhofer: Sehr, sehr spannend, die ganz große Wohltat ist, dass ich mit Studierenden arbeiten darf, die durch die Bank motiviert sind, dafür bin ich sehr dankbar.

GW: Hast du Erfahrung mit Motivationsbarrieren?

JD: Ja, aus der Musikschule. Dabei ist mir klar, dass man mit E-Gitarre 7 bis 10-Jährige nicht unmittelbar erreichen und begeistern kann, denn das Idiom erfordert Wissen um soziokulturelle Hintergründe, siehe z.B. den Blues. Man kann10-Jährige gut für die Musik von AC/DC begeistern, muss jedoch die teils expliziten Lyrics umschiffen. In unserem universitären Umfeld wiederum kann man Musik gleich gesamtheitlich betrachten.

GW: Wieviele Studierende unterrichtest du?

JD: Ca. 20, im Fach Gitarre ist das Hauptfach das ganze Studium lang geteilt, somit sind die Studierenden jeweils 45 Minuten pro Woche bei mir. Der gleiche Zeitraum ist für Akustikgitarre reserviert, die von Martin Kelner, Arnoldo Moreno und Gonzalo Manrique Vallier unterrichtet wird. Für den Großteil der Studierenden ist das herausfordernd, weil man viel üben muss, um die verschiedenen Stilistiken und Spielweisen von E- und Akustikgitarre zu erlernen. In meinem Unterricht geht es um die Entwicklung des Handwerks sowie der eigenen Stimme am Instrument, da sind 45 Minuten pro Woche nicht viel Zeit …

GW: Hast du ein Grundprogramm für alle Instrumentalist*innen?

JD: Ja, es gibt diese Grundkompetenzen, die ich ausgehend von dort, wo meine Studierenden gerade stehen, zu vermitteln versuche – das können  Phrasierungsübungen, Voicings, aber auch intrumentaltechnische Grundlagen sein – letztlich jede Art von Thematik, die das Instrument und die damit assoziierte Musik auf einer substanziellen, universellen Ebene beleuchtet. Zu diesen Themen kommen Studierende über unterschiedliche Wege, abhängig von der jeweiligen individuellen musikalischen Vorgeschichte. Mein Anliegen wäre es, einen Blick für die jeder Musik zugrundeliegenden universalen Parameter mitzugeben, also den substanziellen Gehalt, auf dem aufbauend dann die stilistische Bandbreite bzw. das Finden eines persönlichen Stils als Fragen des Geschmacks stehen.

GW: Wie unterschiedlich sind die Vorkenntnisse der Studierenden?

JD: Sehr unterschiedlich. Letzte Woche habe ich meine ersten Zulassungsprüfungen erlebt. Dabei war spannend zu sehen, welche Charaktere zu uns kommen. Grob teile ich sie in zwei Gruppen ein: jene, die schon aus der Bandpraxis kommen und unter Umständen zwar die schlechteren Theoretiker sind, aber erkennbar routiniert mit der Live-Situation einer Prüfung umzugehen in der Lage sind, und jene, die zwar richtige Töne spielen, aber das eher wie das Aufsagen eines Muttertagsgedichts praktizieren, ohne das verwendete Vokabular in ihrem aktiven Wortschatz zu haben. Eben dieses substanzielle Verständnis von Musik ist mir wichtig, nicht nur die handwerklichen Fähigkeiten

GW: Wie ist bei dir das Verhältnis von Männern und Frauen?

JD: Von meinen 21 Studierenden ist eine weiblich.

GW: Warum ist das so?

JD: Ich weiß es nicht. In anderen Instrumentengruppen ist das Verhältnis ausgewogener, z.B. bei Bass und Schlagzeug. Dieses Phänomen zieht sich durch alle Ebenen und Bereiche: von Musikschulen bis Universitäten, von Kindern bis zu den Lehrenden. Im Herbst 2024 wird Jennifer Batten für einen Workshop an die mdw kommen. Sie interessiert sich weniger um die Erfüllung von Geschlechterrollen, sondern um Jobs – ein durchaus professionell amerikanischer Zugang.

GW: Wie sieht dein künstlerischer Werdegang aus?

JD: Ich stamme aus Wels, das von den kreativen Möglichkeiten begrenzt ist, weswegen ich mich immer nach Linz orientiert habe. Dort arbeitete ab Mitte der 1990er mein damaliger Musikschullehrer Wolfgang Bründlinger, der aus der ersten Abschlussklasse des Linzer Konservatoriums kam und immer viel gespielt hat und stilistisch breit aufgestellt war – von Bands bis Studio und Musiktheater. Sein Input war wertvoll. Musikalisch komme ich ja aus dem Fusion-Bluesrock-Kontext, habe schließlich Jazz in Linz studiert. Ich war da lange unschlüssig, wie ich die klangliche Welt der Brettgitarre mit den Jazzinhalten des Studiums verbinden kann. Da hat mir u.a. Gerald Gradwohl einen inspirierenden Weg aufgezeigt, wie das funktionieren kann, und wie man mit anspruchsvoller Musik ein interessiertes Publikum erreicht, wie groß das im Einzelkonzert auch immer sein mag.

GW: Deine Lehrer an der Bruckner Privatuniversität waren mit Peter O’Mara, Martin Stepanik und Martin Koller sehr unterschiedlich …

JD: Auf jeden Fall, meinen Bachelor habe ich bei Peter O’Mara gemacht, der 2022 in Pension gegangen ist. Er ist im Herzen ein Jazzgitarrist und hat mich sehr gut dort abgeholt, wo ich seinerzeit gestanden bin. Das sprachliche Element in der Musik zu beachten und zu pflegen, das habe ich von ihm übernommen, wie auch die entsprechende Begrifflichkeit (Phrasing, Vokabular etc.). Lange hat mich die Dualität des Jazzbegriffs, also einerseits Jazz als Stil und andererseits Jazz als Musizierhaltung beschäftigt, nicht zuletzt, weil mir die traditionelle Soundästhetik der Jazzgitarre zwar lange fremd war, ich nichtsdestotrotz aber von der interaktiven Musizierpraxis fasziniert war.

GW: Wie ging es dann weiter?

JD: Für den Master war ich dann beim Pianisten Martin Stepanik, der mir ganz andere Perspektiven eröffnet hat. Wir haben konzeptionell gearbeitet, mit Spiegelskalen und symmetrischen Skalen. Daran habe ich später mit Martin Koller angeschlossen, der ebenfalls einen abstrakten Blick auf die Musik hat, die Symmetrie der Gitarre erforscht usw. Unser Common Ground war die stilistische Ecke um Allan Holdsworth, da haben wir uns getroffen. Es war eine inspirierende Zeit.

GW: Wolltest du immer schon viel unterrichten, z.B. an einer Universität?

JD: So etwas wie eine Professur, das kann man nicht anstreben. Denn es ist schwierig und macht keinen Sinn, darauf hinzuarbeiten. Zu viele Faktoren spielen da mit, die man nicht beeinflussen kann. Ich glaube, man kann sich nachhaltig unglücklich machen, wenn man Ziele verfolgt, deren Erreichen von Faktoren abhängt, die jenseits des persönlich Beeinflussbaren liegen. Dass mich das Unterrichten aber sehr interessiert, das habe ich immer schon gewusst.

GW: Wie hat es dann schließlich mit der Professur und Berufung an die mdw geklappt?

JD: Ich habe mich beworben und bin zum Hearing eingeladen worden, d.h. zum künstlerischen Vortrag von 20 Minuten, zu zwei Lehrproben und einem Gespräch mit der Kommission, die aus Ralf von Appen, Nataša Mirkovic und Peter Legat vom ipop sowie aus Guido Jesenski (Graz) und Paulo Morello (Berlin) sowie Studierendenvertreter*innen bestand. Das Gespräch fand ich äußerst gelungen und kollegial, es hat sich sehr gut angefühlt. Es ging u.a. um die ganzheitliche Unterstützung und Motivation für unsere Studierenden, um die popkulturelle Landschaft in Österreich und um die Situation der zu geringen Anzahl an Gitarristinnen im Studium und in der Szene.

GW: Wie hast du deinen künstlerischen Vortrag konzipiert?

JD: Ich habe mit meinem Trio gespielt und für ein Stück noch einen Keyboarder dazugenommen, wobei mein Fokus auf einer abwechslungsreichen, aber künstlerisch kohärenten Präsentation großteils eigener Stücke lag, in der Hoffnung, dass die neben dem eigenständigen künstlerischen Profil ebenfalls geforderte stilistische Bandbreite auch in einem solchen Rahmen erkennbar sein würde. Besonders erwähnen möchte ich, dass die Atmosphäre, unter der das Hearing stattgefunden hat, äußerst wertschätzend war. Das kennzeichnet die mdw, denn ich hatte das auch schon früher als Begleitmusiker bei Studierendenprüfungen positiv erlebt – und an anderen Ausbildungsinstitutionen vermisst.

GW: Was waren die Themen beim Vorunterrichten mit den Studierenden?

JD: Einerseits ging es um Harmonik, also verschiedene Voicing-Möglichkeiten einer Akkordverbindung in unterschiedlichen Lagen, andererseits um ein abstrakteres Improvisationskonzept. Hier hätten wir noch mehr Zeit gebraucht als die veranschlagten 20 Minuten.

GW: Aus welcher musikalischen Sozialisation kommst du?

JD: Meine Eltern sind auf einer nicht professionellen Ebene musikalisch gebildete Leute: sehr gute Pianisten im klassischen Kontext. Sie spielen Orgel in der Kirche und Kammermusik zuhause. Als Sechsjähriger habe ich mit Violine begonnen und das zehn Jahre praktiziert. In der Pubertät konnte ich mich dann nicht mehr begeistern. Zu dieser Zeit hat sich einer meiner Onkeln, der beim ORF tätig war, eine E-Gitarre gekauft. Für mich war das eine Offenbarung, das „Raumschiff im Koffer“ – und Bünde zu greifen war mir natürlich gleich sympathisch. Wir sind dann in die Klangfarbe am Einsiedlerplatz gefahren und er hat mir eine mintgrüne Stratocaster besorgt, die ich immer noch besitze und verwende. Zu spielen habe ich dann zunächst zwei bis drei Jahre autodidaktisch begonnen. Nach der Matura gab es eine Diskussion mit meinen Eltern, die unbedingt wollten, dass ich studiere. Ich hingegen wollte Musik machen. Die Notlösung und der Kompromiss war dann Anfang der 2000er Jahre ein Studium der Musikwissenschaften, kombiniert mit Philosophie, auf der Hauptuni in Wien mit viel außereuropäischer Musik und Ethnomusikologie sowie Musiktechnologie, also Fourier-Analyse, mp3-Format usw. Die Gehörbildung bei Reinhard Micko war sehr cool und für mich eine wichtige Informationsquelle. Ein bis zwei Jahre ging das gut, dann wollte ich unbedingt mein Instrument studieren und ging nach Linz.

GW: Hattest du für deine künstlerischen Tätigkeiten einen konkreten Plan?

JD: Meine künstlerischen Wege haben sich immer von selbst ergeben. Zunächst hatte ich noch mit meiner Entwicklung während des Studiums gehadert, weil ich den Anschluss an die Jazzszene nicht gefunden habe. Immer wieder haben sich jedoch aus Zufallsbekanntschaften Kooperationen ergeben, die mich u.a. auf zwei Touren mit Deep Purple Drummer Ian Paice geführt haben – das war ausgehend von einem Substituten-Gig bei einer lokalen Bluesband, deren irischer Gastsänger mich in der Folge anfragte. Ich selber kam damals über Ritchie Blackmores Nachfolger Steve Morse zu Deep Purple, dessen starker, von klassischer Kontrapunktik, Country und Jazzrock beeinflusster Stil es mir angetan hatte. Auch hat mich damals schon der stark improvisatorische, interaktive Charakter ihrer Live-Konzerte sehr fasziniert.

GW: Wo seid ihr überall aufgetreten?

JD: In 500er und 1.000er Venues in Ungarn, Schweiz, Deutschland, Polen, den Niederlanden und Österreich. Zu Beginn konnten wir Bandmitglieder noch musikalisch mitgestalten, alles stand am Anfang. Jahre später hatte sich unsere Tätigkeit eher auf eine Dienstleistung reduziert mit dem Argument, dass das Publikum genau dieses und jenes verlangt. Das fand ich schade und ernüchternd.

GW: Bei deiner Band Panzerballett ist das hingegen ganz anders, nicht?

JD: Ja, definitiv, es war für mich viel Arbeit, in diese musikalische Komplexität hineinzuwachsen. Begonnen hat alles mit der Einladung zur Gitarrenaudition, auf Basis von Noten, durch den Panzerballett-Schlagzeuger Sebastian Lanser, mit dem ich studiert hatte. Die Band spielte immer mit zwei Gitarristen, und der Kollege neben Mastermind Jan Zehrfeld stieg aus. Die Band hatte da schon sieben Jahre bestanden und hatte viele Konzerte, 30 bis 40 pro Jahr. Ich habe den Job bekommen und neben einer neuen, starken Orientierung nach München hatte ich viel Material zu lernen, vor allem aber auch, wie diese Musik genau funktioniert, denn in klassischer Notation sind z.B. rhythmische Überlagerungen oft nur schlecht lesbar abzubilden. Aber ich bin hineingewachsen. Panzerballett war damals keine reine Metal Band, sondern stilistisch breit aufgestellt, wobei die harten stilistischen Brüche und starken Kontraste kennzeichnend waren, also eigentlich keine Fusion im eigentlichen Sinne. Besonders mit Heiko Jung am E-Bass und Saxofonist Alexander von Hagke flossen viele Jazzeinflüsse in die Interpretation der Stücke ein. Es ging bei Panzerballett immer zuallererst um die Musik, und mir bot sich ein inspirierendes Umfeld mit hochkarätigen Musikern. In den letzten beiden Jahren standen Projekte und Tourneen mit Virgil Donati, Schlagzeug, und Anton Davidyants, E-Bass, auf dem Programm.

Mit meinem Trio FS3 habe ich mir zuletzt ein musikalisches Umfeld geschaffen, in dem ich versuche, all meine persönlichen Ansprüche an Gitarrenmusik im weitesten Sinn unterzubringen, also Raum sowohl für Komposition als auch Interaktion, stilistische Offenheit und, was mir besonders wichtig ist, eine sowohl auf musikalischer als auch menschlicher Ebene inspirierende Atmosphäre mit meinen langjährigen musikalischen Partnern Gerald Kiesewetter (Bass) und Florian Kasper (Drums).

GW: Was rätst du Studierenden für ihren Karriereaufbau?

JD: Sich auf die eigenen Stärken zu konzentrieren, nicht nur auf das Ausmerzen von Defiziten, das habe ich u.a. in der Zusammenarbeit mit Virgil Donati so deutlich erlebt. In der Musikschule wiederum geht es in meinen Augen immer weniger um reine Wissensvermittlung, sondern einerseits die Kuratierung verfügbaren Wissens und anderseits um das Vorzeigen eines künstlerischen Lebensmodells, also Role Model zu sein. Wir müssen Rituale des Musizierens und Musikhörens weitergeben und zeigen, dass man für Musik als soziale Tätigkeit brennen kann. Musik hat als non-verbale Sprache genau diese Funktion, besonders Musik mit improvisatorischem Anteil.

 


 

Joe Doblhofer

Geboren 1981 in Linz, studierte Doblhofer Jazz-Gitarre an der Anton Bruckner Privatuniversität bei Peter O’Mara, Martin Stepanik und Martin Koller. Sein Studium hat er 2022 mit Auszeichnung abgeschlossen.

Seit 2010 ist er als freischaffender Musiker tätig. Die Crossover-Band Panzerballett und sein eigenes Trio FS3 mit Gerald Kiesewetter und Florian Kasper stehen im Zentrum seines künstlerischen Schaffens mit Konzerten in Europa, Asien und den USA. 2022 erschien das FS3-Debütalbum „Cats ’n’ Strats“.

Sein musikalisches Betätigungsfeld erstreckt sich von in Jazz und Blues wurzelnden Spielarten improvisierter Musik bis hin zu zeitgenössischer E-Musik, Theater und Musical, wodurch sich Kooperationen und Arbeiten mit und für Musiker_innen wie Martin Grubinger, Virgil Donati (Planet X), Ian Paice (Deep Purple), Randy Brecker, Anton Davidyants, Mathias „IA“ Eklundh (Freak Kitchen), Trilok Gurtu, Vera Böhnisch, Vincent Bueno, Jürgen Kuttner, Peter Androsch, Christian Diendorfer oder dem Brucknerorchester Linz und den Nibelungenfestspielen Worms ergaben.

Intensiv setzt er sich mit den Themen Recording und Gitarren-Sound auseinander. Sein Interesse gilt auch musiktheoretischen und philosophischen Fragen, etwa der Suche nach Parallelen zwischen gesprochener Sprache und improvisierter Musik, oder der Frage nach dem Einfluss künstlicher Intelligenz auf das Selbstverständnis angehender Musiker_innen.

Mit 1. Oktober 2023 trat Josef Doblhofer seine Professur für Gitarre Popularmusik am Institut für Popularmusik an der mdw an.